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9. Flötenevent der New Flute Generation in Boswil

Peter Hofer

Pädagogik lebendig vermitteln

Bereits zum neuten Mal fand das Flötenevent der New Flute Generation in Boswil statt, das dieses Jahr dem Thema „Pädadgogik“ gewidmet war. Vom 3. bis 4. November 2007 boten mehr als zehn Referentinnen und Referenten vielfältige Workshops und Vorträge. Zahlreiche Besucherinnen und Besucher profitierten von Workshops und Ausstellungen und genossen das Konzert.

Während zwei Tagen gehörten das schöne Künstlerhaus Boswil und die renovierte Kirche einmal mehr der Flötengemeinde. Stefan Keller und Jonas Lindenmann, die Crew der New Flute Generation, hatten freundlich eingeladen: insgesamt etwa 70 Leute aus der ganzen Schweiz, Deutschland und Österreich genossen die Zeit in der hellen, einladenden Kirche.

Michael Heupel eröffnete das Event mit einer fulminanten Jazz-Improvisation. Sein erklärendes Refe-rat dazu begann bei Jazzgeschichte, führte durch Unterschiede zwischen Klassik und Jazz und verweilte bei der Frage, wie man Schülerinnen und Schüler am besten an die Jazzimprovisation heranführt. Jazzimprovisation konnte das Publikum auch gleich selber erfahren. Zentral an der Geschichte des Jazz dürfte die Verschmelzung afrikanischer Pentatonik mit dem Tritonus des ionischen Systemes gewesen sein, denn diese gebar die Blue Notes. Pädagogisch ist gemäss Heupel empfehlenswert, mit kleinen Mengen von Tönen und Akkorden zu beginnen und den Umfang vorsichtig zu erweitern: Ersetzungen, Kadenzen, Modulationen. Dabei muss das logische Verständnis der harmonischen Bewegungen mitwachsen. Für logisches Verständnis dieser Art brauchen wir „den Kopf“. Ferner halten wir die Flöte mit den Armen, wir formen den Ton mit den Lippen, wir lesen mit den Augen, wir artikulieren mit der Zunge. Unser Bewusstsein klebt gar oft in der oberen Körperhälfte.

Heupel

„Atem – Tonus – Ton“ heisst die umfassende Methode, die Regula Schwarzenbach und Letizia Fiorenza während vieler Jahren entwickelt haben, und die das Bewusstsein von der oberen Körperhälfte gleichmässig über den ganzen Körper verteilen hilft. In ihrem Workshop zeigten die Damen, wie sie Basisprinzipien aus Atemschulen (z.B. Middendorf), Bewegungs- und Körperbewusstseinsschulen (z.B. Alexandertechnik) auf die Flöte migriert, für Flöte umgearbeitet haben. Sie trainierten mit dem Publikum auch gleich den Einstieg und boten Raum für eigene Erfahrungen und Ideen, was man im Unterricht noch alles einbauen kann. Dass Tonus aus den Oberschenkeln durch einen festen Stand nahtlos in Klang übergehen kann, und dass dabei das Erlebnis der Klanggestaltung ganz anders wird – für solche und ähnliche Erfahrungen dürften viele Musikerinnen und Musiker immer mal wieder dankbar sein.

Schwarzenbach_Fiorenza

Als krasser Gegensatz hierzu stellte Jonas Lindenmann den „Breath Trainer“ vor und probierte ihn mit ein paar Versuchskaninchen aus dem Publikum heftig durch. Hier ging es um pures Zwerchfell-Muskeltraining, also um Sport. Entsprechend wird der Breath Trainer beispielsweise von Marathon-läufern benutzt, oder von Tetraplegikern, die ihre Atemmuskulatur stärken müssen. Der Breathe Trainer erlaubt, den Widerstand für das Aus- und Einatmen beliebig zu variieren, die Leistung zu kon-trollieren und er hat zugegebenermassen einen hohen Spassfaktor. In einem Selbstversuch hat Jonas Lindenmann positive Erfahrungen in Bezug auf die Flöte gesammelt. Obwohl der Trainer auf den ersten Blick einige Fragen aufwirft, entpuppt er sich beim Probieren als ernsthafter Begleiter und kann helfen, körperliche Umstände im Unterricht und bei sich selbst zu verbessern. Die ideologische Breite des Flötenevents war also nicht nur wegen des Feldes Jazz/Klassik beachtlich. Während eine Atempädagogin vielleicht viele Jahre lang arbeitet, um den ureigentlichen, automati-schen Atemreflex des Körpers zu entdecken und gesundheitsfördernd zu befreien, wird dieser beim Atemtraining mit dem Breathe Trainer scheinbar gleich wieder zugemauert, weil man so heftig und willentlich ein- und ausatmet. Unser Atem jedoch verbindet zwei innere Welten: die vegetative, unbewusste, vielleicht auch die seelische einerseits und die bewusste, willentliche des Tagesverstandes andererseits. Unser Atem ist die „Flüssigkeit“, die beides berührt, umschwimmt, durchdringt und zusammengiesst. So scheint es nur natürlich, dass auch sein Training zwei Aspekte hat. Aber bedeutet das kleine Einmaleins zu lernen automatisch, die Intuition zu verleugnen? Bedeutet Muskeln zu trainieren automatisch, das Kommenlassen von Reflexen wieder zu unterbinden? Die Diskussionen hierzu sind mitunter heftig.

Lindenmann

An einen ganz anderen Ort führte Dorothea Seel ihr Publikum. Sie hatte sich vor langer Zeit die Frage gestellt, warum es einem auf der Böhmflöte bestens ausgebildeten und studierten Flötisten so schwer fallen kann, beispielsweise auf Traversflöte umzusteigen. Wohin käme man, wenn man die Sache umkehren und im Kindesalter mit der Traversflöte anfangen würde? Deshalb war Frau Seel extra mit drei ihrer Schülerinnen aus Kaufbeuren/D angereist, die sie auf diese Weise ausbildet. Die Schulkinder Katharina, Susanne und Beate besitzen also je zwei Instrumente, eine Böhm- und eine Schüler-Traversflöte. Sie spielten die Traversflöte vor Publikum entsprechend ihrer Stufe fühlbar oh-ne Widerstand des Umdenkenmüssens und ohne stilistische Verständnislücken – so unproblematisch wie zum Beispiel das Pendant Blockflöte. Die bestechenden Vorteile sind, dass so ausgebildete Schü-lerinnen und Schüler den „authentischen“ und stilgerechten Klang früherer Epochen von Anfang an in ihr Ohr aufnehmen. Sie müssen ihn auf der Böhmflöte nicht lange suchen, denn sie kennen ihn bereits. Dieser Praxisbeweis von Frau Seel könnte Schule machen.

Seel

Kid

Jos Rinck lagerte seinen Beitrag ganz in der heutigen Epoche. Er referierte über „erweiterte Interpretation“. Dies bedeutet, einem Musikstück einen offengelegten Subtext zu geben mit dem Ziel, die Bühne wieder zu einem magischen Ort, einem Ort des „Ver-rückens“ werden zu lassen. Jos verfolgte im Rahmen eines (ziemlich deftigen) Projektes die Idee, in Räumen Flöte zu spielen, in denen niemals Musik gemacht wird. Solche Räume sind beispielsweise Gerichtssäle. Also besuchte er verschiedene Gerichtssäle und spielte dort drin, und der Subtext waren Gerichtsfälle, die dort drin Geschichte ge-macht haben. Im Saal des Landgerichtes Nürnberg hatten die Nürnberger Prozesse stattgefunden. Dort war zum ersten Mal in der Geschichte ein Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemacht worden, und zwar gegen 21 Ex-Nazis. Folglich fliesst „entartete Musik“ in Jos‘ Werk: Messiaen. Judenverfolgung thematisiert er mittels den Reihen g-Moll, c-Moll und e-Moll und so weiter. Das Ganze goss Jos zu einer Collage. Im ehemaligen Reichsgericht, dem jetztigen Bundesverwal-tungsgericht, umspielte er den Prozess, in dem Marinus van der Lubbe zum Tode verurteilt wurde. Marinus ist in den Augen der meisten Historiker der Brandstifter des Reichstagsbrands in Berlin, 1933. Nach dem Brand wurde eigens ein Gesetz eingeführt, um zwischen Brandstiftung und Hochver-rat einen Zusammenhang konstruieren zu können – Marinus wurde hingerichtet. Im Internationalen Gerichtshof in Den Haag wird Jos das Jugoslavien-Tribunal interpretieren. Das alles fliesst in die Musik und ist erkennbar angedeutet! So etwas zu hören, fesselt sehr und vermag die gewisse Magie zurückzugeben, die heute oft fehlt.

Rinck

Eine gewisse Magie rankt sich auch um das Material „Grenaditte“. Zwischen den Referaten präsentierten nämlich mehrere Flötenbauer und Musikalienhändler Neuigkeiten und wissenswerte Hintergründe zu Instrumenten und Materialien. Christoph Gurtner äusserte sich zu Grenaditte – es sei rein gar nichts darüber herauszufinden, ausser dass es aus zwölf verschiedenen Kunststoffen besteht. Experten schätzen, es habe Karbon drin, sicher sei Glasfaser drin – und damit fehlen noch etwa zehn Stoffe. Christoph führte vor Ort einen Blindversuch mit dem Publikum durch, wie eine Grenaditte-Flöte im Vergleich mit anderen Flöten aufgenommen wird. Gemäss den Resultaten des Blindversuches hat Grenaditte sehr gute klangliche Eigenschaften, welche näher bei den aus Holz gefertigten Flöten einzustufen sind. Die wahrgenommene Qualität kann sich durchaus mit der der Goldflöte messen, diese unter Umständen sogar übertreffen. Die sinnliche Wahrnehmungsqualität von Silber, Gold oder Kunststoff ist nun mal nicht dieselbe, und vor allem ist sie höchst individuell und oft von subjektiven Einflüssen abgelenkt.

Gurtner

Markus Haellers Ausführungen anlässlich des 200-Jahr-Jubiläums von Musik Hug zur Flötengeschichte und zu Grenzen der gezielten Beeinflussung des Flötenklanges durch Mechanik und Werkstoffkunde waren geradezu erfrischend.

Haeller

Auch die Rundreise durch die Kingma-Flöten (inklusive dem legendären „Hoover“)

Hoover

oder die Werkstatt-Ausführungen von Thomas Fehr,

Fehr

wie auch die Erfahrungen von Peter Schmid im Musikalienhandel

Notencafe

sowie Marcandella Distribution mit den Miyazawa Flöten erweiterten den Horizont auf erfreuliche Weise.

Marcandella

Stefan Keller präsentierte sein nagelneues Etüdenheft „Palette“, das sich durch zwölf Stücke hinweg mit modernen Techniken befasst und das während drei Jahren gewachsen ist. Die Etüden eignen sich für den Unterricht; sie beginnen nicht so abgehoben wie zum Beispiel die „Flying Lessions“. Damit dürfte Stefan einem Marktbedürfnis entsprechen.

Keller

Am Samstagabend rundeten ein Konzert von grosser thematischer Breite den Tag ab: Michael Heupel, Dorothea Seel, Jos Rinck und das Duo Schwarzenbach/Fiorenza entführten das Publikum in die Tiefe und Vielfalt des mystischen Flötenklanges. Wie auch letztes Jahr zauberte das Personal des Künstlerhauses leckere Mittag- und Abendessen zwischen den Workshops. So entstanden gemütliche Momente des Zusammensitzens und Zusam-menstehens. Viele persönliche Gespräche und Kontakte sind hier möglich. Wir hoffen, dass auch nächstes Jahr das Künstlerhaus für zwei, drei Tage ganz der Flötengemeinde gehört – dann jedoch für einen runden Geburtstag des Flötenevents Boswil.

Referenten

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